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Die Geisseln

David Steindl-Rast
David Steindl-Rast

 

Ach, wie herrlich konnte doch Schopenhauer über den Lärm schimpfen. Zum Beispiel über den Peitschenknall:

«Nunmehr aber, vom Genus auf die Species übergehend, habe ich, als den unverantwortlichsten und schändlichsten Lerm, das wahrhaft infernale Peitschenklatschen, in den hallenden Gassen der Städte, zu denunciren. Dieser plötzliche, scharfe, hirnzerschneidende und gedankenmörderische Knall muß von jedem, der nur irgend etwas, einem Gedanken ähnliches im Kopfe herumträgt, schmerzlich empfunden werden: jeder solcher Knall muß daher hunderte in ihrer geistigen Thätigkeit, so niedriger Gattung sie auch immer seyn mag, stören: dem Denker aber fährt er durch seine Meditationen so schmerzlich und verderblich, wie das Richtschwerdt zwischen Kopf und Rumpf.»

Peitschen haben wir zum Glück nicht mehr. Und Richtschwerter zum Glück auch nicht. Zumindest nicht in Ländern, die dem Mittelalter entwachsen sind. Aber dafür Handys. Kontinuierlich ringen Apps und Mitmenschen um unsere Aufmerksamkeit. Die Grenzen zwischen Nutzen und Ablenkung vermischen sich zusehends. Es ist mittlerweile eine unglaubliche Flut an Informationen, die über diese Dinger tagtäglich auf uns einströmt und die wir zu bewältigen haben. Ich glaube, wir kennen das alle: Man will nur schnell schauen, wer da geschrieben hat, es könnte ja wichtig sein ...

Die Buddhisten haben schon lange erkannt, dass jede Unterbrechung unserer Gedankengänge Unruhe in unserem Geist verursacht. Und es braucht eine Weile, bis wieder Ruhe einkehrt. Das lähmt unseren Geist und unsere Kreativität. Den Unterschied merkt man erst, wenn man mal eine Auszeit genommen und sich von sämtlichen externen Einflüssen abgeschottet hat. Tag für Tag wird der Geist ruhiger. Aber es kommen dafür neue und wertvolle Gedanken auf, für die vorher kein Platz da war.

Schopenhauer meinte am Schluss seines Traktats:

«Ich möchte wissen, wie viele große und schöne Gedanken diese Peitschen schon aus der Welt geknallt haben.»

Wie viele große und schöne Gedanken hat das Handy wohl schon vertrieben? Oder sie gar nicht erst aufkommen lassen?

Ob ein Peitschenknall oder das Surren eines Handys: Geisseln für den Geist sind alle beide.

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Zum Anschauen:

Der Benediktinermönch und Zen-Meister David Steindl-Rast, mittlerweile bald 100-Jährig, weiss von was er redet. Er hat es gut auf den Punkt gebracht:

«Der Rückzug ist eine Konfrontation mit der Wirklichkeit, das andere ist eine Flucht vor der Realität.»

David Steindl-Rast im Gespräch auf SRF-Kultur (übrigens sehr sehenswert)