Meinen neuen Töff hat er kaputt gemacht, der hinterfotzige und feige Hund der! Der Töff war mein ganzer Stolz. Als ich von der Schule nach Hause fahren wollte, war das Zündschloss mit Streichhölzern vollgestopft, sodass ich ihn nach Hause schieben musste. Und das erst mal einen Hang hinauf. Sogar die mit den Fahrrädern haben mich überholt! Den Spott der anderen Schüler könnt ihr euch ja vorstellen. Was für eine Demütigung auf dem Schulweg! Ich wusste, wer das war. Er war es! Ich habe es in seinen Augen gesehen. In seinem schuldbewussten Blick, den er mit seiner gekünstelten Coolness zu überspielen versuchte.
Jahre später war er ab und zu in den Medien. Jedes Mal, wenn ich etwas von ihm gelesen habe, kam wieder diese Aversion gegen ihn auf. Auch als Erwachsener, als ich diesen Streich schon lange als jugendlichen Leichtsinn abgetan hatte, konnte ich mich nicht dagegen wehren. Für mich war dieses Gesicht immer mit diesem fiesen Typen von damals verbunden. Bis zur ersten Klassenzusammenkunft nach zwanzig Jahren …
Gegen Affekte können wir uns nicht wehren. Die passieren einfach, und zwar bevor der Verstand dagegen steuern kann. Das haben schon David Hume und Baruch de Spinoza erkannt.
Alles, was bei uns einen negativen Affekt produziert, bleibt «abgespeichert». Das ist wahrscheinlich der Evolution und unserem Überlebensinstinkt geschuldet. Die Affekte sind schon eine gute Sache, wenn man z.B. in freier Wildbahn einen Bären sieht (und er dich hoffentlich noch nicht). Aber manchmal sind sie einfach ein Hund (nur eine Anspielung auf oben, ich habe nichts gegen Hunde). Obwohl der Verstand es eigentlich besser wüsste, kann man sie nicht beiseiteschieben.
Diese negativen Affekte sind im Grunde eine Reaktion auf die Verletzung unseres eigenen Wohles und unserer eigenen Integrität. Sie hinterlassen teilweise gravierende Spuren. Wie nach einer schweren Sportverletzung. Es wird danach nie wieder genau gleich wie vorher. Auch wenn die Verletzung vordergründig geheilt ist, kommt danach noch die Kopfsache. Es dauert lange, bis man dem verletzten Körperteil wieder vollständig «traut». Und auch dann bleibt die Situation oder der Ort, wo man sich verletzt hat, immer eine Herausforderung. Ähnlich verhält es sich bei Verletzungen durch unsere Mitmenschen. Es dauert lange, bis man nach einer Verletzung jemandem wieder mit gutem Gefühl gegenübertritt.
Aber es geht. Wie es schon Baruch de Spinoza beschrieben hat, können negative Affekte durch positive aufgelöst werden. Man muss sich seinem «Antagonisten» stellen und ein positives Erlebnis mit ihm haben, welches das Negative überlagert. Das geht aber nur, wenn das Gegenüber auch einen Schritt entgegenkommt. Das ist leider nicht immer gegeben und darum werden wir in unserem Leben nie alles bereinigen können, so sehr wir uns auch bemühen.

Baruch de Spinoza, Bildnachweis: Wikemedia gemeinfrei
… Spät am Abend bei der Klassenzusammenkunft setzte er sich zu mir. Er müsse mir etwas beichten, was ihn schon lange belaste. Er sei es gewesen, der mir dazumal meinen Töff kaputt gemacht habe. «Ich weiß» sagte ich zu ihm und wir mussten beide lachen. Er entschuldigte sich dafür. Er sei dazu mal ein anderer gewesen. Wir haben uns noch gut unterhalten und ich musste mir eingestehen, dass er eigentlich ganz okay ist.
Sporadisch bin ich ihm später wieder begegnet. Freunde werden wir nie werden, aber ich hatte nie wieder diese Aversion gegen ihn, wenn ich ihn getroffen habe.
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Zum Nachlesen:
«Der Affekt der Seele kann nur gehemmt oder gehoben werden durch die Vorstellung einer entgegengesetzten Erregung des Körpers, die zugleich stärker ist, als die gegenwärtige. Denn ein Affekt, unter dem wir leiden, kann nur durch einen stärkeren und entgegengesetzten Affekt gehemmt oder gehoben werden, d.h. nur durch eine Vorstellung einer körperlichen Erregung die stärker und jenem entgegengesetzt ist.»
Spinoza’s Ethik, 4. Teil, Von der menschlichen Knechtschaft
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Spinoza's Ethik, Ausgabe von J.H. von Kirchmann aus 1877: