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Der Tiefgründige

Siddhartha Gautama
Siddhartha Gautama

 

Interessanterweise kann man sehr viele philosophische Bücher lesen und kann dennoch sehr wenig fürs Leben mitnehmen. Ein paar Ausnahmen gibt es, wie zum Beispiel die Stoiker. Die sind mit ihren einfachen Weisheiten nah am Leben dran. Von einem Kant jedoch kann man wahrscheinlich nicht allzu viel fürs tägliche Überleben da draussen mitnehmen, ich zumindest nicht.

Einer ist schon sehr früh einen anderen Weg gegangen und hat das Leben in den Mittelpunkt gestellt. Die Rede ist von Siddhartha Gautama. Ich hoffe, es nimmt mir niemand übel, dass ich hier von Siddhartha Gautama rede und nicht von Buddha. Als er seine Reden gehalten hat, wurde er von seinen Anhängern auch noch Der Erhabene genannt, noch nicht der Erwachte (siehe Übersetzungen aus dem Pali-Kanon von Karl Eugen Neumann).

Seine wichtigsten Lehren kann man recht schnell in Erfahrung bringen. Online oder mit Büchern von diversesten Lehrern, die seinen Lebensweg und seine Weisheiten beschreiben. Schnell stösst man auf die vier edlen Wahrheiten und den achtfachen Pfad. Und dann noch etwas Meditation dazu und schon meint man zu wissen, wie Buddhismus funktioniert. Aber so einfach ist das alles nicht. Schon von der Meditation haben die meisten Europäer eine falsche Vorstellung. Und dann gibt es noch viele verschiedene Strömungen, die sich teilweise wesentlich unterscheiden. Sich hier einen Überblick zu verschaffen, ist eine echte Herausforderung.

Um den Kern der Lehre zu erkennen, kommt man daher nicht umhin, die Reden Siddharthas zu studieren, und nicht nur Erklärungen oder Auslegungen dazu. Und darum habe ich mich an die älteste deutsche Übersetzung des Pali-Kanons gewagt, der die ältesten schriftlichen Überlieferungen der Reden enthält. Was mich persönlich sehr beeindruckt hat, ist, dass in den Reden nicht nur die bekannten Grundsätze des Buddhismus gelehrt werden. Es werden auch viele andere grundlegende moralische Themen behandelt. Da wird zum Beispiel analysiert, wer der bessere oder schlechtere Unschuldige ist: der, welcher erkennt, dass er unschuldig ist, oder der, welcher nicht erkennt, dass er unschuldig ist? Gar nicht so einfach zu beantworten, wie es auf Anhieb aussieht, gell?

Die Reden sind zu Beginn anstrengend zu lesen. Sehr viele Wiederholungen. Wer meint, hier abkürzen zu können, macht einen gravierenden Fehler. Genau bei den Wiederholungen gibt es feine Differenzen, die den springenden Punkt ausmachen. Man muss einzelne Reden mehrmals lesen, um den roten Faden zu finden. Was mich am meisten erstaunt hat, ist, dass sie wirklich nachhaltig zum Nachdenken anregen.

In den Reden von Siddhartha Gautama ist aus philosophischer Sicht mehr drin, als man zu Beginn erwartet. Oder zumindest mehr, als ich erwartet habe. Sie eröffnen sich aber nur dem Geduldigen.

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Zum Nachlesen:

Unschuld - 5. Rede aus der mittleren Sammlung (Übersetzung von Karl Eugen Neumann)

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Ausgabe von Karl Eugen Neumann aus 1907:Neumann