Hätte ich das doch bloss früher gewusst. Das hätte mir viel erspart. Denn als ich die ersten Philosophiewerke gelesen hatte, merkte ich, dass ich mich schon bei den Begriffen und Definitionen schwertue. Der Einstieg war mühsam. Dabei gibt es im Nachlass von Arthur Schopenhauer Manuskripte, die sozusagen einen kompletten Philosophiekurs enthalten. Vom Meister höchstpersönlich. Wie genial ist das denn!
Schopenhauer hat zwei Jahre gelehrt. Leider hat nur eine Handvoll Studenten seine Vorlesungen besucht. Die meisten hörten lieber dem Hegel zu. Wenn einer natürlich seine Vorlesung mit folgendem Satz beginnt, hat er den Hörsaal voll:
«Ich möchte mit Christus sagen; ich lehre die Wahrheit und bin die Wahrheit.»
Klingt aber irgendwie schon wie von einem Sektenführer, oder? Er musste ja schon eine hohe Anziehungskraft gehabt haben, der Hegel. Er ist aber genau einer der Philosophen, die für mich unzugänglich sind. Wenn ich ihn lese, denke ich mir spätestens nach ein paar Seiten: «Was um Himmels Willen will er mir sagen?» Vermutlich bin ich einfach zu doof, um seinen Gedanken zu folgen. Wenn ich dann aber Schopenhauers Bemerkung über Hegel lese, beruhigt mich das ein bisschen: «Wenn man einen Jüngling absichtlich verdummen und zu allem Denken völlig unfähig machen will, so gibt es kein probateres Mittel als das fleissige Studium Hegelscher Originalwerke.»
Schopenhauer hatte für meinen Geschmack einen sympathischeren Einstieg und Ansatz für seine Vorlesungen. Er versuchte seinen Studenten einen Gesamtüberblick über die Philosophie zu geben:
«Ich habe die Grundzüge der gesammten Philosophie angekündigt und habe daher in einem Cursus alles das vorzutragen, was sonst als Erkenntnißlehre überhaupt, als Logik, als Metaphysik der Natur, Metaphysik der Sitten oder Ethik, Rechtslehre, Metaphysik des Schönen oder Aesthetik in eben so vielen verschiedenen Cursus vorgetragen wird.
Der Grund, warum ich in Eines verknüpfe, was man sonst trennt, und mir dadurch die zu einer Zeit zu leistende Arbeit sehr häufe, liegt nicht in meiner Willkür, sondern in der Natur der Philosophie.»
Und das machte er. Und er machte es gut. Erfrischend klar und verständlich drückt er sich aus. Es ist angenehm, wie er die Studenten und den Leser an die Thematik heranführt und selbst zum Nachdenken anregt. Diverse Themen von Grund auf behandelt. Es ist wie ein Turbo-Booster fürs Philosophieverständnis. Auch wenn man bereits einige seiner anderen Werke gelesen hat, sind die Philosophischen Vorlesungen aus seinem Nachlass immer noch eine Bereicherung.
Übrigens sind auch Schopenhauers Fragmente zur Geschichte der Philosophie sehr empfehlenswert. Sehr spannend, wie er andere Philosophen analysiert und deren Theorien einordnet. Teilweise habe ich mehr von Schopenhauer über diese Philosophen gelernt als aus deren Werken selbst.
Wie gern würde ich mal durch ein Zeitfenster in eine seiner Vorlesungen gucken.
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Zum Nachlesen:
Schopenhauers Einleitung in die Philosophie
Schopenhauers Fragmente zur Geschichte der Philosophie
Die hegelsche Selbstvergötterung
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Ausgabe von Franz Mockrauer / Paul Deussen aus 1913: