Fast dreissig Jahre lang wurde sein Hauptwerk ignoriert, ein Ladenhüter war es. Man hörte lieber anderen zu, die mit ihren Wortschwallen einem den Geist vernebelten, als diesem unbequemen Zeitgenossen. Er liess sich aber nicht beirren. Bis zu seinem Tod trieb ihn sein Wille an, seine Werke zu vervollständigen, zu verbessern, zu korrigieren. Bis ein Gesamtwerk im Raum stand, «von solcher kosmischen Geschlossenheit und einschliessender Gedankenkraft (Thomas Mann)», wie es bisher kein anderes gegeben hat. Jetzt konnte man Arthur Schopenhauer nicht mehr ignorieren.
Über keinen anderen wurde so viel Falsches geschrieben und kein anderer wurde so oft falsch verstanden, so falsch dargestellt. Sogar seine Biografie wurde verändert. Die einzige Biografie, die von einer Vertrauensperson geschrieben wurde, die ihn noch persönlich gekannt hat, kommt von Wilhelm Gwinner: «Arthur Schopenhauer aus persönlichem Umgange dargestellt (1862)». In späteren, ab 1922 überarbeiteten Ausgaben, wurde ein ganzes Kapitel weggelassen. Das Kapitel 8 «Quoad politica», welches Schopenhauers politische Ansichten beleuchtet, fehlt in diesen Ausgaben. Vorausschauend hat Schopenhauer selbst einmal geschrieben:
«Philosophen lernt man nur aus ihren eigenen Werken kennen, nicht aus dem verzerrten Bilde ihrer Lehren, welches sich in einem Alltagskopfe darstellt.»
Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena
Wie recht er hatte. Denn wenn man so vorbelastet durch diese falschen Meinungen, die einem in den Kopf gesetzt wurden, an sein Hauptwerk geht, hat man das Gefühl, man lässt sich gleich mit dem «Fürsten der Finsternis» ein. Weit gefehlt! Arthur Schopenhauer war ein unglaublicher Schriftsteller. So wortgewaltig wie kein anderer. Und wenn man erst einmal den Einstieg in seine Werke gefunden hat, auch so fesselnd, wie ich es bei keinem anderen je erlebt habe. Seine spitze Feder hat mich viele Male zum Lachen gebracht.
Aber vor allem ist er auch ein Lehrer, ein Mentor, der einen an die Hand nimmt, wenn man es denn auch zulässt. Auf seiner Reise lüftet er einen Vorhang nach dem anderen. Beleuchtet alles von allen Seiten. Lässt nach und nach ein klareres Gesamtbild vor den Augen entstehen.
Schopenhauer ist für mich einer der ganz Grossen, wenn nicht der Grösste. Immer noch.
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Zum Nachlesen:
Wilhelm Gwinner - Arthur Schopenhauer aus persönlichem Umgange dargestellt:
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Ausgabe von Willhelm Gwinner aus 1862: