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Der Keller

Geshe Tashi Tsering & David Hume
Geshe Tashi Tsering & David Hume

Bildnachweis: Foundation of Buddhist ThougtAllan Ramsay (Public Domain)

 

Schon wieder stehe ich im Keller und weiß nicht mehr, was ich holen wollte. Aber die Wanderschuhe, die ich unterwegs gesehen habe, die sollte ich endlich noch imprägnieren. Apropos, die WhatsApp-Nachricht wegen der Wanderung am Wochenende sollte ich auch noch beantworten. Wie wird eigentlich das Wetter am Wochenende? Ich glaube, gar nicht so gut, er hat Regen. Da kommt mir gerade in den Sinn: Den Entfeuchter könnte ich noch leeren, wenn ich schon hier bin …

Der Empirist David Hume hat es erklärt. Eigentlich ist es wie ein Film, der in unserem Gedächtnis abgeht, mit vielen aufeinander folgenden Wahrnehmungen und Empfindungen. Eine folgt der anderen. Und die stärkste Wahrnehmung gewinnt. Das merkt man spätestens, wenn man im Schwimmbad auf eine Biene steht. Da ist das Eis, das man holen wollte, plötzlich nicht mehr so wichtig. Höchstens vielleicht noch zum Auflegen. Es ist also nicht wirklich ein Gedankenfluss, der in unserem Kopf abgeht, er stellt sich uns nur so dar. Wie ein Film im Kino. Nur Einzelbilder, die wir nicht mehr auseinanderhalten können.

Und dann sind da noch die Idealisten. Allen voran Kant und Schopenhauer. Die sagen, dass es grundsätzlich egal ist, ob etwas physisch empfunden wird oder nur gedacht wird. Es wird eh alles nur in unserem Kopf produziert. Das merkt man spätestens, wenn man einen sehr realistischen Traum gehabt hat. Ein Gedanke bewirkt aber auch immer wieder eine Empfindung, wobei wir dann wieder bei Hume wären.

Es muss nicht gerade ein Bienenstich sein, der uns ablenkt, sondern es können auch Gedanken sein, die uns belasten, oder ganz einfach unerledigte Dinge, die immer wieder in den Vordergrund treten. Man kennt es: Immer wieder kommt ein Gedanke auf. Erst wenn man ihn zu Ende gedacht oder die Situation bereinigt hat, die ihn auslöst, lässt er einen in Ruhe. Halt wie bei einem Bienenstich: Man muss den Stachel, die Ursache, entfernen. Vorwiegend sind es negative Gedanken, die einen belasten und ablenken. Dies hat der sympathische John Locke beschrieben. Eine negative Empfindung ist stärker als eine positive:


«Ein wenig Brennen treibt kräftiger, als größere Lust in Aussicht zieht und lockt.»

(John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, § 34)


Der zugrundeliegende «Mechanismus» bleibt sich gleich. Egal ob ich ihn aus der empirischen oder idealistischen Sichtweise anschaue. Eine Wahrnehmung oder Empfindung folgt der andern und die Stärkeste gewinnt. Also unser eigener, ganz persönlicher Kinofilm. Am Wochenende fühlen wir uns, womöglich noch auf der gleichen Strasse, vielleicht wie Peter Fonda in dem Film Easy Rider, im Feierabendstau dann vermutlich eher wie Michael Douglas in der legendären Eröffnungsszene im Film Falling Down.

… Und ich weiß immer noch nicht, wieso ich im Keller stehe. Ich leere den Entfeuchter, schnappe mir die Wanderschuhe und wenn ich jetzt gerade schon mal im Keller bin, nehme ich sicherheitshalber noch eine Schokolade mit. Man weiß ja nie …

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Zum Anschauen:

Easy Rider – Der legendäre Ritt

Falling Down –  Die legendäre Stauszene, besser kann man Humes nicht darstellen

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Zum Nachlesen:

Und auch hier stimmt die buddhistische Erkenntnistheorie, wieder mit David Hume überein (oder eher umgekehrt). Geshe Tashi Tsering bringt es in einem Podcast gut zum Ausdruck:

«Even in the moment I start to record this, so many things are happening in my mental state: emotions, thoughts, sensations, experiences, memories, more less at same time, but the Buddhist psychology and epistemology texts says, two different mental states cannot operate at the same time.»

A Buddhist Life with Geshe Tashi Tsering: Ep.6

 

Und natürlich der grosse Hume:

«Ich meines Teils kann, wenn ich mir das, was ich als „mich“ bezeichne, so unmittelbar als irgend möglich vergegenwärtige, nicht umhin, jedes Mal über die eine oder die andere bestimmte Perzeption (Wahrnehmung) zu stolpern, die Perzeption der Wärme oder Kälte, des Lichtes oder Schattens, der Liebe oder des Hasses, der Lust oder Unlust. Niemals treffe ich mich ohne eine Perzeption an und niemals kann ich etwas anderes beobachten als eine Perzeption.»


David Hume, Traktat über die menschliche Natur (1. Buch, Vierter Teil, 6. Abschnitt)

Ausgabe aus der Bibliothek des Schriftstellers H.G. Adler: