Jahr 1600: Eine Szene wie aus «Der Name der Rose», düsterstes Mittelalter. Auf einem Wagen wird der Ketzer, nach fast 8 Jahren Kerkerhaft, zum Scheiterhaufen geführt, weil er zu schwach zum Gehen ist. Gebrochen hat man ihn dennoch nicht, so stark sind seine Überzeugungen. Er geht, ohne zu widerrufen, in den Tod. Alle seine Schriften werden verboten, seine Werke werden öffentlich zerrissen und verbrannt.
Jahr 2024: Ehrfürchtig nehme ich das Büchlein in die Finger. Alt ist es, aus 1872. Der Rücken ist brüchig und schon der Titel ist respekteinflössend: «Von der Ursache, dem Princip und dem Einen». Für diese Gedanken ist der Mönch Giordano Bruno vor über 400 Jahren ins Feuer gegangen. Vorsichtig schlage ich es auf und beginne zu lesen. Ah, ein Dialog. Hoffentlich nicht so anstrengend wie der Platon mit seinem nervigen Sokrates. Nein, viel besser, zum Glück. Ein bisschen lange die Einleitung von Armesso. Elitropio ermahnt zum Weitermachen. Ah, jetzt geht's weiter… endlich:
Elitropio. Eine allzulange Einleitung!
Armesso. Nur Geduld! Denn der Schluss wird kurz sein.
Ich will in Kürze sagen, dass ich euch will Worte hören lassen, die man nicht erst zu entziffern braucht, indem man sie erst gleichsam der Destillation unterwirft oder durch die Retorte gehen lässt, im Marienbade digestiert und nach dem Recept der Quintessenz sublimirt, sondern solche, die mir meine Amme in den Kopf gepfropft hat, welche beinahe so fett, hochbusig, dickbäuchig, starklendig und vollsteissig war, wie es jene Londonerin nur sein kann, die ich in Westminster gesehen habe und die von wegen der Erwärmung des Bauches ein paar Zitzen hat, die wie die Stulpstiefeln des Riesen Sanct Sparagorio aussehen und aus denen sich, zu Leder verarbeitet, sicherlich zwei ferraresische Dudelsäcke machen liessen.
Elitropio. Das könnte nun wohl für eine Einleitung ausreichen.
Geistiger Aussetzer. Hä? Was habe ich jetzt da soeben gelesen? Dann die Dämmerung und dann der Lachanfall.
Giordano, du gerissener Schlawiner, wie hast du mich doch überrascht und amüsiert. Da erwartet man ein Werk, welches die Grundmauern der Welt erschüttert. Und dann das! Mit welchem Witz du deine Leser immer wieder aus heiterem Himmel überrumpelst! Und mit welch feiner Feder du dir die Obrigkeit vorgenommen hast, die Pfaffen, «die hochdonnernd, gleich einem Satyr oder Faun im Purpurgewande mit schreckeneinflössendem und gebieterischem Pompe einherschreiten». Und die Emporkömmlinge, «die in jener Doctoren- und Priesterwürde mehr nach Rindvieh, Heerde und Stall schmecken als die wirklichen Pferdeknechte, Hirten und Ackersleut».
Ja, Humor konnte in dieser Zeit für die Obrigkeit gefährlich werden. Und dann kommst du denen auch noch mit anderen Welten – und der Unendlichkeit …
Giordano Bruno, du warst deiner Zeit einfach zu weit voraus.
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Zum Nachlesen:
Zitat aus «Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen»
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Ausgabe von J.H. v. Kirchmann & Adolf Lasson aus1872: