Es gibt Philosophen, die deinen Geist beflügeln. Und es gibt Solche, die dir die Flügel stutzen. Die dich ungemütlich auf den Boden der Realität zurückholen. Ja, der Schopenhauer ist so einer. Der kann das aber so schön formulieren, dass es ein Genuss ist, zu lesen, was man doch für ein unbedeutender Furz im Universum ist.
Ich meine aber den Marc Aurel. Der war kein unbedeutender Furz. Der war nämlich Kaiser. Und zwar als das römische Reich noch von Grossbritannien bis Ägypten ging. Er hat, über 500 Jahre nach Platons Idee von einem Philosophenkönig, dessen Traum wahrgemacht und den Kaiserthron bestiegen.
Marc Aurel setzte sich für soziale Gerechtigkeit und Benachteiligte ein. Und er hat es meisterhaft beherrscht, seine Gedanken in wenige Worte zu fassen. Das war vermutlich auch den Umständen geschuldet, hat er seine «Selbstbetrachtungen» doch während eines Feldzuges in den Heerlagern geschrieben. Und er war Stoiker. Die sind nicht gerade für ihre ausschweifenden Formulierungen bekannt. Man kann ihm in diesem Werk der Weltliteratur über die Schulter schauen und lesen, wie er sich und seine Handlungen reflektiert hat. Es waren sehr intime und persönliche Gedanken, wie in einem Tagebuch, das er mit uns teilt:
«Bald wirst du alles vergessen haben, und bald werden auch dich alle vergessen haben.»
Grad heute in unserer egozentrischen Zeit sind seine Gedanken wertvoll, um sich wieder mal das Wesentliche vor Augen zu führen. Die Erde dreht sich nicht immer nur um uns. Im Gegenteil, wir sind nur ein Teil davon:
«Jedem Einzelteil der Natur muss das gut sein, was die Natur des Ganzen erfordert und was für sie erhaltend wirkt.»
Marc Aurels «Selbstbetrachtungen» ist ein Werk, das man immer wieder mal lesen kann. Das Schöne daran ist: Man muss es nicht wie andere philosophische Bücher am Stück lesen, damit man die Zusammenhänge begreift. Man kann es aufschlagen, wo man will, und ein paar wertvolle Gedanken mitnehmen.
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Zum Nachlesen:
Marc Aurels Selbstbetrachtungen, zweites Buch
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Ausgabe von Otto Kiefer aus 1922: