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Der Gärtner

Arnold Schwarzenegger in Eraser
Arnold Schwarzenegger in Eraser

Bildnachweis: Videobuster.de, © Warner Bros.

 

Er hatte sich nicht mit Namen vorgestellt, als ich ihn begrüsste. Er meinte nur, er sei der Gärtner. Er hielt vermutlich seine Funktion für wichtiger als seinen Namen. So wichtig, dass er sich im Speisesaal einen Platz reserviert hatte. Mit einem kleinen Teppich. Dieses Privileg war sonst nur den Geshes (den gelehrten spirituellen Meistern) und den ältesten Mönchen vorenthalten. Den Respektspersonen halt. Er war etwa um die Siebzig und er musste also im Kloster hohen Respekt geniessen.

Viel geredet habe ich mit ihm in diesen Tagen nicht. Er wirkte immer irgendwie abwesend auf mich. Und wenn er geredet hat, dann meistens nur über seine Bäume, welche er geschnitten hatte. Er habe eine Bonsai-Ausbildung gemacht und in Kanada 10 Jahre lang Obstbäume geschnitten. Ich war beeindruckt.

An meinem letzten Abend im Kloster kam es zum Eklat. Der Gärtner fragte nach dem Abendessen einen Mönch, was er heute Schlechtes erlebt habe. Bei mir schrillten die Alarmglocken. Was sollte das? Das konnte nicht gutgehen. Der Mönch erzählte ehrlich sein schlimmstes Erlebnis des Tages. So wie es ihm halt sein Gelübde abverlangt, immer die Wahrheit zu sagen. Sein Hund, den er aufgenommen hatte, habe wieder eine Geschwulst. Gleich neben der Narbe, wo man kürzlich schon eine Warze rausgeschnitten hatte. Der Gärtner meinte kalt: «Das ist ein Tumor, du musst das Tier einschläfern lassen, damit es nicht leidet. Ich weiss das, ich habe 10 Jahre Hunde gezüchtet.» Ich sah, dass der Mönch mit der Fassung rang. Aufgebracht durch diese, von Anfang an auf Konfrontation ausgelegte Frage, griff ich ein: «Du kannst doch nicht ernsthaft von einem buddhistischen Mönch verlangen, dass er seinen Hund einschläfert.» Der Mönch sprang auf und verliess fluchtartig den Raum.

Dann erklärte ich dem Gärtner, dass das Leben für die Mönche heilig ist, egal ob Wurm oder Hund. Wenn er schon im Kloster als Dauergast wohne, sollte ihm das doch klar sein. Und er soll mir bitte erklären, wieso er meint, über Leben und Tod entscheiden zu dürfen. Was gebe ihm das recht dazu. Ob es ihm schon klar sei, was das für das Gelübde und das Karma der Mönche bedeutet, wenn sie ein Leben nehmen? Egal ob sie es selbst machen oder in Auftrag geben. Und ob er verstehe, in was für ein moralisches Dilemma er den Mönch mit dieser Aussage gebracht habe.

Er schaute mich verständnislos an und entgegnete mir: Er habe 10 Jahre Buddhismus und Shaolin studiert. Und er könne eine Stunde meditieren, ohne an etwas zu denken. So lange würden das nicht mal die Mönche schaffen. Da hat es bei mir erst «Klick» gemacht. Erst jetzt konnte ich mein Gegenüber richtig erkennen und begriff endlich, wie es um ihn stand.

Ich kam mir vor wie Arnold Schwarzenegger in Eraser. In der einen Hand die Argumenten-Kanone und in der anderen den Ethik-Blaster. Und ich habe beidhändig auf ihn gefeuert und ihn niedergemacht. Nur dass ich nicht auf einen Schurken geschossen habe, sondern auf ein wehrloses Gegenüber. Das war unfair und mein Verhalten tat mir leid. Er tat mir leid.

Auf dem Weg zurück aufs Zimmer traf ich den Mönch nochmals. Er dankte mir, dass ich die Situation klargestellt habe. Ein Mönch sollte niemanden zurechtweisen müssen. Es habe schon öfters Konflikte mit dem Gärtner gegeben, weil er nicht wirklich buddhistische Werte vertreten würde. Er verstehe es nicht und er sei unbelehrbar. Der Mönch meinte noch, ich hätte richtig reagiert. Ich war da anderer Meinung.

Am nächsten Morgen spricht der Gärtner beim Frühstück nichts. Er entfernt sich auch gleich nach dem Essen wortlos. Später, als ich bereit zur Abreise meinen Koffer ins andere Gebäude trage, sehe ich ihn auf der Treppe sitzen. Er schnitzt einen schönen Wanderstock. Ich gehe zu ihm hin, um mich zu verabschieden, und spreche ihn auf seine Schnitzerei an. Er wirkt sehr präsent. Er meint, er möchte heute nichts studieren und einfach nur schnitzen. «Was? Du reist schon ab?», fragt er mich. Die vier Tage seien ihm vorgekommen wie vier Minuten. Dann steht er auf und verabschiedet sich sehr freundlich mit einem Namaste von mir.

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Zum Nachdenken:

Das Dilemma des Mönches:

Ein jedes Wesen scheuet Qual,
Und jedem ist sein Leben lieb:
Erkenn’ dich selbst in jedem Sein,
Und quäle nicht und tödte nicht.

Übersetzung des Dhammapadam von Karl Eugen Neumann: Das Qualen-Kapitel

 

Die grobe Rede aller Beteiligten:

Die grobe Rede wird vollzogen, indem wir unangenehme Worte gebrauchen, die den anderen verletzen, zum Beispiel indem wir jemandem Fehler nachsagen, seine Lebensführung herabwürdigen oder ihn mit Schimpfwörtern belegen.

Geshe Thubten Ngawang - Die vier Arten der schlechten Rede

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Dhammapadam von Karl Eugen Neumann aus 1921