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Der Fliessweg

Fotografie: ismael@raumundzeit.blog
Fotografie: ismael@raumundzeit.blog

 

Das Tao Te King auf „Bärndütsch“, geht das? Ja, es geht, und Balts Nill hat es gemacht. Er wurde bekannt als Schlagzeuger und Percussionist der Band Stiller Has, eine der schrägsten und bekanntesten Bands der Schweiz. Ganze 16 Jahre prägte er die Band. Es ist sehr unterhaltsam zu schauen, was Balts Nill aus dem Tao Te King gemacht hat.

Es gibt kein anderes Werk, welches in so vielen verschiedenen Interpretationen und Sprachen im Umlauf ist. Aber auf Schweizer Mundart hat es bisher noch keiner gewagt. David Steindl-Rast war so begeistert von Balts Nills Übersetzung, dass er es dann noch auf Hochdeutsch übersetzt und herausgegeben hat. Also von Chinesisch auf „Bärndütsch“ und dann auf Hochdeutsch. Spannend, oder? 

Übersetzungen lassen immer großen Spielraum. Das hat zum einen sicher auch mit der chinesischen Schrift zu tun. Die Schrift lässt einiges an Interpretationsspielraum offen. Speziell für Übersetzer, die nicht Chinesisch als Muttersprache haben. Und zum anderen: Es sind teilweise rätselhafte Verse, die schon durch ihren Aufbau sehr viel hineininterpretieren lassen. Dass es so kurze Texte sind, verstärkt den Effekt nochmals. Jedes Wort ist massgebend.

Ein Beispiel aus Vers 54:

  • Was gut gepflanzt ist, wird nicht ausgerissen (Richard Willhelm)
  • Was verwurzlet isch gheit nid so schnell um (Balts Nill, gheit = fällt)
  • Was verwurzelt ist, kommt nicht so schnell um (David Steindl-Rast)

 

Ich finde, es macht schon einen Unterschied, ob etwas umfällt, ausgerissen wird oder umkommt, aber man versteht, was gemeint ist.

Teilweise sind es nicht nur Wörter. Ganze Verse sind in den einzelnen Übersetzungen komplett anders. Wie hier zum Beispiel der Vers 8 in verschiedenen Ausführungen:

  • Der Weise lebt wie das Wasser. Das Wasser dient allen Wesen und es fordert nichts für sich (Kathrin Laich)
  • Höchste Güte ist wie das Wasser. Des Wassers Güte ist es, allen Wesen zu nützen ohne Streit (Richard Willhelm)
  • Gutes wirkt wie Wasser, nützt allem, was lebt, bleibt nirgends hängen (Balts Nill / David Steindl-Rast)

 

Vermutlich geht es uns mit dem Tao Te King wie Schopenhauer dazu mal mit dem Oupnek’hat, der recht frei interpretierten Übersetzung der Upanishaden (alt-indische Veden). Die Veden wurden auch erst auf Persisch und dann auf Latein übersetzt. Den Kern der Lehre konnte er trotzdem erkennen und das Oupnek’hat wurde zu seiner größten Inspiration.

Das ‚richtige‘ Tao Te King erfährt man wahrscheinlich auch nur, wenn man Chinesisch als Muttersprache hat. Aber den Kern der Verse erfasst man, in fast jeder Übersetzung.

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Zum Anschauen und Anhören:

Bruce Lees legenärer Vergleich von Kampfkunst und Wasser: Be water my friend... 

Und natürlich die legendären Stiller Has mit dem Multi-Instrumentalist Balts Nill: Aare

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Die unterhaltsame Übersetzung des Tao Te King von Balts Nill:

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Und die Übersetzung von David Steindl-Rast:

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