Wie einfach und doch markant ist der Anfang von «Moby Dick». Fast jeder kennt die Einleitung: «Nennt mich Ismael.» Der erste Satz in einem Buch ist immer der Wichtigste und hinterlässt einen bleibenden Eindruck.
Und da hat man einen Philosophie-Wälzer von fast 700 Seiten in den Händen, und der fängt so an:
«Die Untersuchung des menschlichen Verstandes ist unterhaltend und nützlich.»
… und schon habe ich den Autor ins Herz geschlossen. Nicht irgendetwas Hochtrabendes. Nein, einfach nur unterhaltend und nützlich. Und genau so ist John Locke zu lesen. Nie hat man das Gefühl, dass er reisserisch ist oder nach Aufmerksamkeit heischt. Seine sympathische Höflichkeit und Bescheidenheit ziehen sich durch sein Werk und man gibt sich gern seinen Gedanken hin.
Eigentlich habe ich ihn schon nach dem Vorwort, seinem Brief an den Leser, ins Herz geschlossen. Locke entschuldigt sich schon fast, dieses Buch veröffentlicht zu haben. Er hat es eigentlich nur geschrieben und veröffentlicht, weil ihn seine Freunde dazu gedrängt haben.
«Ich selbst habe so wenig Gefallen an dem Gedrucktwerden, dass ich, wenn ich nicht erwartete, dieser Versuch werde Anderen ähnlichen Nutzen wie mir selbst bringen, ihn nur den wenigen Freunden mitgetheilt haben würde, die ihn zunächst veranlasst hatten.»
Zum Glück hat er das Buch doch noch drucken lassen. Sogar Schopenhauer, der sich ja nie mit Kritik zurückgehalten hat, bezeichnet ihn als «ächten» Philosophen. Lockes Gedanken sind immer wieder eine Bereicherung. Immer wieder stösst man in seinen Werken auf Perlen. Die Seele eines Neugeborenen beschreibt er als weisses Blatt Papier und folgert daraus, dass alle Menschen das gleiche Recht auf Leben, Freiheit und Besitz haben. Wie schön ist das denn, aber leider noch so fern.
Und mit «Two Treatises of Government» hat er den Grundstein für die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika gelegt. Darin schreibt er: «Der Zweck der Regierung ist das Wohl der Menschheit.» Er stellt die Gesetze generell über die Person des Herrschers. Das war zu seiner Zeit schon recht provokant, war doch die englische Gesellschaft noch sehr vom Adel geprägt.
John Locke war in vieler Hinsicht ein Wegbereiter. Seine Werke sind heute noch wertvolle Lektüre.
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Zum Nachlesen:
Ein Brief an den Leser
Über den menschlichen Verstand - Einleitung
Ausgabe von J.H. v. Kirchmann aus 1872: